?Im Hinblick auf das absehbar weiter steigende Zinsniveau sollten Mittelst?ndler ihre Investitionen jetzt langfristig zum Beispiel mit F?rderdarlehen mit Festzinssatz durchfinanzieren und dabei Reserven f?r akute Liquidit?tsbedarfe schaffen.?

- Guy Selbherr, Vorstandsmitglied der B?rgschaftsbank Baden-W?rttemberg

Der Vorstand der B?rgschaftsbank Baden-W?rttemberg und Gesch?ftsf?hrer der Mittelst?ndischen Beteiligungsgesellschaft Baden-W?rttemberg GmbH (MBG) ?u?ert sich im Interview mit RATIO kompakt zur lange erwarteten und nun einsetzenden Normalisierung der Zinspolitik ? und gibt Empfehlungen f?r Start-ups und Menschen, die ein Unternehmen im Zuge der Nachfolge erwerben m?chten. 

RATIO kompakt: Herr Selbherr, die Europ?ische Zentralbank reagiert auf die Rekordinflation. Erstmals seit elf Jahren wird es im Euroraum eine Zinserh?hung geben, im Monat Juli um 0,5 Prozentpunkte. In Folge werden die Kredite teurer. Ein l?ngst ?berf?lliger Schritt aus Ihrer Sicht?

Guy Selbherr: Der Nullzins der EZB stellt seit 2016 eine au?erordentliche und nie zuvor dagewesene Sondersituation dar. Einerseits brachte das Niedrigzinsumfeld f?r viele Unternehmen einzigartig gute Finanzierungskonditionen ? hoher Wettbewerb der Gesch?ftsbanken um gute Bonit?ten f?hrte aber teilweise auch zu weniger straffen Kreditvergabestandards und nicht mehr Risiko ad?quaten Margen. Andererseits zeigte sich durch die Flutung des Marktes mit billigem Geld ein Anstieg der Assetpreise, nicht nur im Immobiliensektor, was ja letztlich ? das wird uns bewusst ? den Zinsvorteil leider meist ?berkompensiert. Aktuell nutzt die EZB mit der Anhebung des Leitzinses ein wichtiges Instrument, um die Inflation in Richtung ihres Zwei-Prozent-Ziels zu steuern. Wir sehen also die lange erwartete einsetzende Normalisierung der Zinspolitik. Zwar f?hrt die Anhebung des Leitzinses naturgem?? zu einem Anstieg der Kreditzinsen, diese spielen letztlich als Kostenfaktor in der Gesamtkalkulation der Unternehmen ? zum Beispiel im Vergleich zu Energiekosten ? eine eher untergeordnete Rolle. Und es gibt ja auch positive Folgen: Von der D?mpfung der Teuerung profitieren neben den Konsumenten schlie?lich auch alle Unternehmen entlang der Wertsch?pfungskette.

Worauf sollten mittelst?ndische Unternehmen achten? Sollte die Finanzierungsstruktur sp?testens jetzt ?berpr?ft und angepasst werden? Der Leitzins wird ja vermutlich in den n?chsten Monaten weiter steigen?

Im Hinblick auf das absehbar weiter steigende Zinsniveau sollten Mittelst?ndler ihre Investitionen jetzt langfristig zum Beispiel mit F?rderdarlehen mit Festzinssatz durchfinanzieren und dabei Reserven f?r akute Liquidit?tsbedarfe schaffen, die sich aus der extrem herausfordernden Gemengelage aus dem Angriffskrieg gegen die Ukraine, Lieferkettenst?rungen, Materialpreisexplosionen und einem Energieembargo ergeben k?nnten. Auch die Diversifizierung des Finanzierungsportfolios kann eine Rolle spielen, besonders im Fokus kann dabei die Eigenkapitalausstattung stehen. So optimiert die Einbindung eines kleinen MBG-Beteiligungsbausteins im Rahmen einer klassischen Fremdkapitalfinanzierung Bilanzrelationen, verbessert die Ratingeinstufung und damit die Bonit?t und kann dadurch auch zu besseren Konditionen bei der Aufnahme von Darlehen f?hren.

Worauf sollten angesichts der Zinswende Existenzgr?nderinnen und -gr?nder achten?
          
                      
Die Zinswende kann f?r Start-ups neben h?heren Finanzierungskosten auch generell Schwierigkeiten beim Kreditzugang verursachen. Zum einen finanzieren wir in der Regel auch eine l?ngere Anlaufphase, da bis zur Marktetablierung Verluste entstehen k?nnen. Diese Vorfinanzierung wird teurer und damit steigt der Kapitaldienst deutlich. Mit den h?heren Zinsen steigt aber am Ende auch das Risiko von Forderungsausf?llen. Die so genannte ?nachhaltige? Kapitaldienstgrenze wird in der Finanzbranche vielfach so definiert, dass diese zu maximal 75 Prozent ausgelastete sein soll, um den Liquidit?tsspielraum nicht zu sehr einzuengen. F?r Kreditinstitute ist diese Kennzahl wichtig, dies f?hrt daher zu einer Straffung des Kreditvergabestandards f?r bonit?tsschwache Unternehmen, Gr?ndungen k?nnten hier besonders betroffen sein. In diesem Kontext ist es f?r Gr?nderinnen und Gr?nder umso wichtiger, alle Angebote der baden-w?rttembergischen F?rderpalette ? von der ersten Beratung ?ber die Unterst?tzung beim Businessplan bis hin zur Finanzierung mit L-Bank und B?rgschaftsbank ? in Anspruch zu nehmen. Mit dem passgenauen Programm Startfinanzierung 80 erreichen wir mehr als 1.000 Gr?nderinnen und Gr?nder pro Jahr. Gerade in konjunkturell anspruchsvollen Phasen beweisen F?rderkredit und B?rgschaft ihre St?rke und sichern so den Mittelstand von morgen.

Blicken wir auf die Menschen, die ein Unternehmen kaufen m?chten. Die Finanzierung von Nachfolgevorhaben wird angesichts der Zinswende schwieriger. Also geplante Vorhaben nun besser schnell unter Dach und Fach bringen?

Die Aussicht auf h?here Kreditkosten war schon im Verlauf der vergangenen Monate ein Anreiz, Finanzierungen vorzuziehen. So stellte der Antragseingang im April 2022 mit etwas ?ber 107 Mio. EUR Kredit- und Beteiligungsvolumen den drittst?rksten Monat in der Geschichte der B?rgschaftsbank dar. Ein gutes Drittel des Volumens bezieht sich auf ?bernahmen. Potenzielle Nachfolger sollten in erster Linie die notwendige Sorgfalt bei der Planung ihres ?bernahmevorhabens walten lassen und nichts ?berst?rzen. Auch ohne konjunkturelle Turbulenzen sind h?ufig nach einer ?bernahme Umsatzr?ckg?nge zu verzeichnen. Unserer langfristigen Erfahrung nach erreicht nur ein Drittel der ?bernehmer ihre Planziele. ?bernahmepreise sind im Nachhinein betrachtet oftmals zu hoch, zumal die Verschuldung ja in der Vergangenheit kein Kostenfaktor war, was sich nun ?ndern wird. Die Kaufpreise sind vor allem Spiegelbild der Ertragskraft von Unternehmen, angesichts der Turbulenzen auf verschiedenen Ebenen stellt sich ohnehin die Frage, zu welchen Bedingungen die Unternehmen in Zukunft ?berhaupt wirtschaften k?nnen. Unsere Empfehlung ist daher, sich von praxiserfahrenen Gr?ndungs- oder Steuerberatern informieren zu lassen und idealerweise auch Nachfolgespezialisten des RKW BW einzubinden.

Wie sch?tzen Sie die Situation von Unternehmern ein, die zum Beispiel altershalber ihren Betrieb ver?u?ern wollen? Ist davon auszugehen, dass Verk?ufer es zunehmend schwerer haben, ihre Preisvorstellungen durchsetzen zu k?nnen?

Bei der Strukturierung von Nachfolgen liegt die K?nigsdisziplin darin, die Interessen von Verk?ufer und ?bernehmer unter einen Hut zu bekommen. Nat?rlich haben Ver?u?erer im Regelfall neben dem Fortbestand ihres Unternehmens ein Interesse an einem hohen Verkaufspreis. Schon in den vergangenen Jahren haben wir stark anziehende Multiples gesehen, die aber aufgrund der Ertragskraft und gegebenenfalls ?bernommener Substanzwerte angemessen erschienen. Die derzeit steigenden Finanzierungskosten f?r ?bernehmer in Verbindung mit einem tr?beren wirtschaftlichen Ausblick und vor allem gro?er Kostensteigerungen f?r Material und Energie d?rften in der Tat Nachfolgeverhandlungen schwieriger gestalten. Denn so rosig sieht die n?here Zukunft nicht aus. Ein K?ufer wird nur noch f?r eine nachhaltige Ertragskraft des Unternehmens zahlen wollen. Dennoch haben Verk?ufer verschiedene M?glichkeiten, den Abschluss der Verhandlungen in ihrem Sinne zu gestalten. Beispiele k?nnen sein die Gew?hrung von Verk?uferdarlehen im Rahmen der Finanzierung, eine stufenweise Zahlung des Kaufpreises ?ber earn-out-Klauseln oder ?softe Faktoren? wie eine fortgesetzte Mitarbeit im Unternehmen.

Finanzierung aktiv gestalten

Das RKW Baden-W?rttemberg unterst?tzt Sie individuell bei anstehenden Finanzierungen und dem Zugang zu F?rdermitteln f?r ihre Investitionsvorhaben, Ihre erfolgreiche Existenzgr?ndung oder Unternehmensnachfolge.

Beratung RKW Baden-W?rttemberg

0711 229980