?Wilde Zeiten? nenne ich unsere aktuellen VUKA-Rahmenbedingungen gerne vereinfacht, denn es ist so Vieles gleichzeitig im Umbruch: Wir haben extreme Marktdynamiken auf die es zu reagieren oder die es sogar mitzugestalten gilt. Aber auch die Werte-Vorstellungen der Gesellschaft stehen im Diskurs. Viele von uns sind mit ?Wachstum als wirtschaftlichem Ideal? aufgewachsen. Mit Blick auf die demographischen und ?kologischen Entwicklungen ist schon lange klar, dass dieses System nicht zukunftsf?hig ist, weshalb der Ruf nach ?nachhaltigem Wirtschaften? (zum Gl?ck) immer lauter wird. Das RKW Baden-W?rttemberg interessiert: Welche Auswirkungen hat dieser Umbruch auf  die Entwicklung der F?hrung?

Dr. Verena Krauer: Welcher der vielen ?Trends? und Entwicklungen hat aus Ihrer Sicht gerade den gr??ten Einfluss auf den deutschen ? oder speziell sogar baden-w?rttembergischen stark mittelst?ndisch gepr?gten F?hrungsalltag?

Dr. Reinhard K. Sprenger: Sektoral ist das unterschiedlich. Im Regelfall ist es ein Mix aus Kostensteigerungen, Lieferengp?ssen, Umsatzr?ckg?ngen durch ver?ndertes Kundenverhalten, energiepolitischer Unsicherheit und Inflation. Vor allem mit der Inflation umzugehen hat heute niemand mehr ge?bt. Es geht darum, wie beim Surfen vor die Kostenwelle zu kommen, also m?glichst fr?h viele kleine Preisanpassungen vorzunehmen. Als Trend kommt noch hinzu der Fachkr?ftemangel. Wer im umgebenden Meinungsklima ein schlechtes Firmenimage hat, wer die Unternehmenskultur vernachl?ssigt oder die Personalabteilungen kaputtgespart hat, der hat jetzt das Nachsehen. In manchen Unternehmen beobachte ich auch einen Konflikt zwischen Jung und Alt, zwischen Agilit?t und Traditionswissen, der nur von sehr umsichtigen F?hrungskr?ften moderiert werden kann.

 

Was muss sich in den K?pfen von F?hrungskr?ften, aber auch bei den obersten Chefs und Mitarbeitenden ?ndern, damit die Zusammenarbeit in der Organisation gut funktioniert und Unternehmen gut aufgestellt f?r die aktuellen Herausforderungen sind?

Fr?her hatte man Kundenprobleme, f?r die man L?sungen suchte. Dann wurde man erfolgreich und hat heute L?sungen, f?r die man Kundenprobleme sucht. Die psycho-organisatorische Verfasstheit der meisten Unternehmen ist dabei immer noch der Maschinenlogik des 19. Jahrhunderts verpflichtet. In dieser Logik ist Effizienz die Monstranz, der alle huldigen. Man fragt vorrangig ?Was haben wir?? und ?Was k?nnen wir?? und wie k?nnen wir Kosten senken. Man kreist autistisch um sich selbst, denkt das Unternehmen von innen nach au?en. Damit kann man heute nur noch selten Blument?pfe gewinnen. Wir m?ssen wieder fragen: ?Was brauchen die?? Wir sollten das Unternehmen viel radikaler von au?en nach innen denken.

 

Und was sollte sich ganz handfest ?ndern mit Blick auf Strukturen, Formen der Zusammenarbeit, Zielsystemen etc. in mittelst?ndisch gepr?gten Organisationen?

Gegenw?rtig zeigen sich die Grenzen der lange beschworenen Unternehmenskultur. Die zeigen sich zum Beispiel in der langsamen Digitalisierung, in der Beschw?rung von Werten, in der Heiligsprechung der Mitarbeiterzufriedenheit. Wir m?ssen aber wieder lernen, das Unternehmen als kooperative Ordnung zu verstehen, die um Kundenprobleme gebaut ist. Es geht darum, die Lebensqualit?t von Menschen au?erhalb des Unternehmens zu erh?hen. Konkret hei?t das: Ausmisten statt reparieren. Zum Beispiel Institutionen, die lediglich Kundenablenkungsenergien erzeugen. Alles, was aus Sicht des Kunden nicht vermisst wird, steht zur Disposition. Wer H?he gewinnen will, muss Ballast abwerfen.

 

Herr Dr. Sprenger, ich habe in einer Ver?ffentlichung von Ihnen gelesen, dass Sie die Rolle von F?hrungskr?ften als Widerspruchs-Akrobaten bezeichnet haben. K?nnen Sie uns erkl?ren, was Sie damit konkret meinen?

F?hrung ist immer F?hren im Dilemma. Permanent m?ssen gleichzeitig mehrere Ziele und Werte verfolgt werden, die in Spannung zueinander liegen und niemals in gleichem Ma? erf?llbar sind. F?hrung lebt in und von diesen Widerspr?chen. Also zentral/dezentral, ver?ndern/stabilisieren, effizient/effektiv, Herkunft/Zukunft. Sie muss t?glich entscheiden, welche Alternative sie in jeder Situation vorzieht. Wenn ich vor diesem Hintergrund eine F?higkeit nennen sollte, dann w?re es Ambiguit?tskompetenz. Also die F?higkeit, Widerspr?che zu sehen, sich aber davon nicht l?hmen zu lassen, sondern zu entscheiden. Insofern sind F?hrungskr?fte Widerspruchsk?nstler, Grauzonenvirtuosen. Die k?nnen nicht nur Entweder-oder, sondern auch Sowohl-als-auch und Mehr-oder-weniger. Dazu geh?rt auch die Alternative, selbst aus dem Weg zu gehen, sich als F?hrungskraft angemessen und ?berlegt zur?ckzuziehen. Wir brauchen keine raumf?llenden F?hrungskr?fte, sondern raum?ffnende.

 

Haben Sie ein paar Tipps, wie die n?tigen F?higkeiten dazu entwickelt werden k?nnen?

Konflikte nicht meiden, sondern aktiv angehen. Man lernt ja nie mehr ?ber einen anderen Menschen, als wenn dieser f?r etwas in den Konflikt einsteigt. Und man lernt auch sich selbst dabei besser kennen. So erlebt man die Perspektivabh?ngigkeit der Welt und vitalisiert dadurch das Unternehmen. Sehen, was andere nicht sehen. Denken, was andere nicht denken. Machen, was andere nicht machen. Ohne Konflikt gibt es ja keine Entwicklung, keine Innovation und keine Zukunftsf?higkeit. Auch ein Flugzeug startet nur bei Gegenwind.

 

Wollen Sie uns vor diesem Hintergrund auch die ein oder andere Kernthese aus ?Magie des Konflikts? vorstellen? Was k?nnen F?hrungskr?fte f?r Ihre Arbeit daraus mitnehmen?

Zun?chst durch die Erkenntnis, dass der Konflikt die Existenz von F?hrung legitimiert. Ohne Ziel- und Wertkonflikte braucht es keine F?hrung. So besehen sind F?hrungskr?fte Konfliktparasiten. Zudem w?ssen sie verstehen, dass im Unternehmen verschiedene Logiken gleichberechtigt nebeneinander existieren. Ein Unternehmen ist multi-rational: Das Marketing ?tickt anders? als die Compliance-Abteilung, F+E anders als die Logistik, Vertrieb wieder anders, das Controlling stemmt sich gegen alle. Um diese Widerspr?che herum sind Unternehmen gebaut, sie leben in und von permanenter Nicht?bereinstimmung. Deshalb darf keine partikulare Logik dominieren, niemand darf einen Konflikt ?gewinnen?. Das zu verhindern, daf?r braucht es konfliktf?hige F?hrungskr?fte, die die Widerspr?che balancieren. Kluge Menschen haben in dummen Organisationen keine Chance.

Wie entwickelt sich eine F?hrungskraft weiter?

Das RKW Baden-W?rttemberg unterst?tzt Sie sowohl beim Aufbau moderner F?hrungsstrukturen als auch bei der Entwicklung Ihrer F?hrungskr?fte.

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Dr. Verena Krauer Prokuristin

0711 22998-37
Dr. Verena Krauer