Gerade f?r den Mittelstand nehmen die Themen Personalentwicklung und Qualifizierung an Bedeutung immer mehr zu, sagt Christian Rauch. Der Leiter der Regionaldirektion der Bundesagentur f?r Arbeit in Baden-W?rttemberg betont im Interview mit RATIO kompakt: ?Es ist dringend erforderlich, dass Besch?ftigte ihre Qualifikationen den Erfordernissen des Marktes durch Weiterbildung anpassen, das ist der Schl?ssel zur Bew?ltigung der anstehenden Transformation.? Wer im Strukturwandel erfolgreich bestehen wolle, so Rauch, d?rfe nicht nur in Technik, sondern m?sse auch in seine K?pfe investieren. Er denkt dabei mit Blick auf den demografischen Wandel sowohl an die Schaffung von Ausbildungspl?tzen als auch an eine vorausschauende, strategische Personalplanung. 

RATIO kompakt: Herr Rauch, als Regionalleiter der Bundesagentur f?r Arbeit tauschen Sie sich regelm??ig mit Gesch?ftsf?hrern der mittelst?ndischen Unternehmen in Baden-W?rttemberg aus. Was nehmen Sie wahr?

Je nach Branche nehme ich gro?e Sorge aufgrund der aktuellen coronabedingten Situation wahr, teilweise bestehen schon seit 2019 zus?tzlich konjunkturelle Sorgen, zum Beispiel im Maschinenbau. Auch die gro?e Herausforderung durch Transformation besch?ftigt die mittelst?ndischen Unternehmen ?ber alle Branchen hinweg. Das Besondere ist die Gleichzeitigkeit dieser einzeln schon gewaltigen Herausforderungen f?r die Unternehmen.Die Stimmung h?ngt allerdings von der Branche ab: Ich habe eine Zuversicht bei den gro?en Automobilfirmen erlebt. Da ist durchaus so etwas wie Aufschwung-Stimmung vorhanden.  Vor dem Lockdown waren auch Handel, Gastronomie und Tourismus positiv gestimmt. Durch den Lockdown hat sich das in den letztgenannten Branchen gedreht. Jetzt ?berwiegt die Sorge um die Zukunft. Ich erlebe auch Existenz?ngste. Man kann nicht von der Situation in der Wirtschaft sprechen. In den Unternehmen erfahre ich aktuell eine gro?e Verbundenheit mit den Belegschaften. Wenn irgend m?glich werden die Fachkr?fte gehalten. Das zeigt auch sehr deutlich der bisher nicht erfolgte Anstieg der Arbeitslosigkeit w?hrend des zweiten Lockdowns. 

Wie wird sich die Corona-Pandemie auf den Arbeitsmarkt im S?dwesten 2021 auswirken?

Aussagen zur Arbeitsmarktentwicklung f?r das Jahr 2021 sind mit gro?en Unsicherheiten behaftet, zum Beispiel wie schaut die ?ffnungsperspektive f?r den Handel, die Gastst?tten und den Tourismus aus? Wie schnell ist auch durch die Impfungen eine R?ckkehr zur Normalit?t im Leben m?glich? Aktuell rechnen wir in unseren Prognosen f?r 2021 damit, dass die Arbeitslosigkeit nicht weiter ansteigen wird. Dies wird aber im Wesentlichen davon getragen, dass aufgrund demografischer Effekte mehr Menschen in der Grundsicherung in die Alterssicherung ?berwechseln. Der Arbeitsmarkt an sich wird noch nicht das Niveau der Vorjahre, keinesfalls die Bl?tezeit von 2018 erreichen.Bereits vor Corona waren deutliche Einschr?nkungen durch konjunkturelle und auch strukturelle Effekte am Arbeitsmarkt zu verzeichnen. Bis diese Effekte aufgeholt werden, wird es mehrere Jahre in Anspruch nehmen und von allen Akteuren noch Kraftanstrengungen erfordern.

Schauen wir auf die Kurzarbeit. Wie war die Entwicklung 2020? Steigt die Kurzarbeit im S?dwesten aufgrund des zweiten Lockdowns 2021 wieder, und wie ist die Situation speziell in der gewerblichen Wirtschaft?

In der Spitze im Mai 2020 waren in Baden-W?rttemberg ann?hrend eine Million Arbeitnehmer, man k?nnte auch sagen ann?hernd jeder sechste Arbeitnehmer, von Kurzarbeit tats?chlich betroffen. Die Agenturen f?r Arbeit haben Anzeigen von 160.000 Betrieben f?r ann?hrend zwei Millionen Arbeitnehmer bekommen. Die tats?chlich von Kurzarbeit betroffene Zahl an Arbeitnehmern hat sich ?ber den Sommer auf unter 400.000 reduziert. Wie es sich seit Beginn des zweiten Lockdowns entwickelt hat, l?sst sich aufgrund des Abrechnungsverfahrens nicht exakt sagen. Aufgrund der Antragsentwicklung erwarte ich einen Anstieg, so dass wahrscheinlich insgesamt rund 500.000 Arbeitnehmer betroffen sein k?nnten. Auf der betrieblichen Seite liegt das Schwergewicht bei Kurzarbeit im Bereich Hotel- und Gastst?tten bzw. Handel, betrachtet man die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer, sind es unsere Leitbranchen Automotive und Maschinenbau aufgrund der Besch?ftigtenzahlen. Eines zeigen aber die Zahlen jetzt schon. Kurzarbeit hat sowohl im ersten wie im zweiten Lockdown sehr vielen Besch?ftigten Arbeitslosigkeit erspart und den Betrieben die Fachkr?fte erhalten. Beides ist Voraussetzung, damit es nach einer ?ffnung auch unverz?glich wieder aufw?rts gehen kann. Es war gut investiertes Geld.

Kurzarbeit bietet die Chance, die Zeit f?r Qualifizierungsma?nahmen zu nutzen.  Haben die Unternehmen die Kurzarbeit f?r Weiterbildung Ihrer Belegschaften genutzt?

Richtig, es ist dringend erforderlich, dass Besch?ftigte ihre Qualifikationen den Erfordernissen des Marktes durch Weiterbildung anpassen, das ist der Schl?ssel zur Bew?ltigung der anstehenden Transformation. Auch weiterhin gilt der Grundsatz, dass gute und aktuelle Qualifikationen am besten vor Arbeitslosigkeit sch?tzen. Das Institut f?r Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat eine Befragung unter Betrieben und Mitarbeitern zu der Frage durchgef?hrt. Laut den Befragungsergebnissen des IAB haben lediglich etwa zehn Prozent der Unternehmen Kurzarbeit f?r die Weiterbildung ihrer Mitarbeiterschaft genutzt. Mit dem neuen ? 106a SGB III hat der Gesetzgeber seit 01.01.2021 eine zus?tzliche F?rderungsgrundlage mit finanziellen Anreizen f?r die Unternehmen geschaffen, Kurzarbeit mit Qualifizierung zu erg?nzen. Ich hoffe und w?nsche mir, dass viele Unternehmen und Besch?ftigte davon Gebrauch machen. Die zunehmenden digitalen Weiterbildungsformen bieten auch die notwendige Flexibilit?t, Produktionsplanung in Unsicherheit, Kurzarbeit und Lernen sehr flexibel miteinander zu verbinden.

Die Automobilindustrie steckt mitten im Transformationsprozess, die gewerbliche Wirtschaft insgesamt befindet sich im Strukturwandel. Welche Rolle spielt die Weiterbildung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, speziell im baden-w?rttembergischen Mittelstand?

Weiterbildung wird noch wichtiger und notwendiger. Fakt ist, dass wir auch nach Corona aufgrund der Altersstruktur der Belegschaften einen hohen Fachkr?ftebedarf haben werden. Weiterhin haben auch ganz aktuelle Studien aus dem Betriebspanel gezeigt, dass innovative und erfolgreiche Betriebe in den letzten zehn Jahren ?berdurchschnittlich nicht nur in Technik, sondern auch in die Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden investiert haben. F?r mich ist die Lessons Learned aus dieser Studie f?r die Zukunft: Wer im Strukturwandel erfolgreich bestehen will, darf nicht nur in Technik, sondern muss auch in seine K?pfe investieren. Dazu geh?rt, dass wir auch unter schwierigen Bedingungen weiter in die Ausbildung junger Fachkr?fte investieren, aber auch, dass die Betriebe die Weiterbildung bereits erfahrener Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verst?rkt in den Fokus nehmen. Weiterbildung hei?t dabei f?r mich auch mehr als nur die Anpassung an gerade eingekaufte Maschinentechnik. Gerade f?r den Mittelstand nehmen die Themen Personalentwicklung und Qualifizierung an Bedeutung immer mehr zu. Mit Weiterbildung@BW und dem Qualifzierungschancengesetz sowie Folgegesetzen hat die Politik auf Bundes- und Landesebene wichtige und richtige Weichenstellungen vorgenommen, die Unternehmen dabei zu unterst?tzen. Jetzt gilt es, diese Angebote sowohl von Seiten der Betriebe als auch der Besch?ftigten zu nutzen. In Baden-W?rttemberg gibt es daf?r umfangreiche Beratungsstrukturen - auch bei den Agenturen f?r Arbeit ? und auch eine interessante Anbieterstruktur.

In den n?chsten Jahren geht die sogenannte Boomer-Generation nach und nach in den Ruhestand. Sp?testens 2025 wird der demografische Wandel die Wirtschaft stark treffen. Doch die habe das nicht auf dem Schirm, hei?t es beim ifo-Institut. Schon heute ist in einigen Branchen der gewerblichen Wirtschaft der Fachkr?ftemangel ein Problem ? das sich verst?rken wird. Ist die Wirtschaft darauf vorbereitet?

Eine BIBB/IAB-Projektion geht davon aus, dass, auch wenn sich Deutschland aktuell aufgrund der Covid-19-Pandemie im Krisenmodus befindet, das k?nftige Arbeitsmarktgeschehen zu einem gro?en Teil von der demografischen Entwicklung und damit von einem zunehmenden R?ckgang der Erwerbsbev?lkerung gepr?gt ist. Dies gilt auch f?r Baden-W?rttemberg.Generell muss aber betont werden, dass die demografische Entwicklung nur ein Faktor von vielen ist, die den Fachkr?ftebedarf bzw. die Schwierigkeiten der Suche nach Fachkr?ften bestimmen. Der Fachkr?ftebedarf wird am Ende nach Corona st?rker sein als vorher, in Teilen verlagert er sich aber in andere Branchen. Aufgrund der Transformation hin zu E-Mobilit?t und dem Trend zur Digitalisierung finden aber auch unterschiedlich gerichtete weitere Trends statt.

Die Herausforderung f?r die Betriebe liegt darin, diese auf der Makroebene sehr vorhersehbaren Entwicklungen f?r ihre Branche, f?r ihre Region, am Ende f?r ihr Unternehmen runter zu brechen. Die gro?en Player haben daf?r eigene St?be, die sich ausschlie?lich damit besch?ftigen. Im Mittelstand ist das eher noch weniger zu finden. Hier hat die Personalplanung ?berwiegend doch eher eine kurz- bis mittelfristige Perspektive. Die fatalen Auswirkungen zeigen sich aktuell schon etwas auf dem Ausbildungsmarkt. Aus kurzfristig sehr gut nachvollziehbaren Gr?nden geht die Zahl der Ausbildungspl?tze jetzt schon im zweiten Jahr zur?ck. Aber jeder heute nicht ausgebildete Jugendliche fehlt uns in vier Jahren als Fachkraft, wenn die Babyboomer aus dem Erwerbsleben austreten. Auch hier zeigt sich, wie schwer es ist, die volkswirtschaftliche und die betriebswirtschaftliche Perspektive in Einklang zu bringen.

Werden die strategische Personalplanung und die Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den Mittelst?ndlern an Bedeutung gewinnen, oder wird der Strukturwandel verschlafen?

Der Bereich Personalentwicklung stand in der Vergangenheit in den HR-Bereichen der meisten mittelst?ndischen Unternehmen traditionell weniger im Fokus. Daran hat sich auch in den letzten Jahren noch zu wenig ge?ndert. Ein Grund daf?r ? neben mehreren weiteren ? ist, dass aufgrund der ?berragenden Markterfolge der vergangenen Jahre die Notwendigkeit zur Personalentwicklung noch nicht hinreichend gro? war.Dieses Problem ist jedoch zwischenzeitlich erkannt worden, und verschiedene Akteure haben sich zum Ziel gesetzt, L?sungen daf?r zu finden: So wurden in Baden-W?rttemberg Qualifizierungsverb?nde f?r kleine und mittelst?ndische Unternehmen ins Leben gerufen und F?rder- und Beratungsprogramme sowohl des Landes als auch der Bundesagentur f?r Arbeit initiiert. Ich bin ?berzeugt davon, dass die mittelst?ndische Wirtschaft in Baden-W?rttemberg auch diese Herausforderung meistern wird. Noch ist es in meinen Augen nicht zu sp?t.

Wie kann hier unterst?tzt werden? Sehen Sie entsprechende Angebote im Weiterbildungsmarkt?

Die Unterst?tzungsm?glichkeiten sind vielseitig, vier Aspekte will ich nennen: Die Arbeitsmarkt- und Qualifizierungsberatung ist eine wichtige Aufgabe der Agenturen f?r Arbeit. Die Arbeitsagenturen sind diesbez?glich breit aufgestellt, sie arbeiten in den Regionen in zahlreichen Netzwerken und eng mit Tr?gern von Qualifizierungsma?nahmen zusammen. So bieten die Arbeitgeber-Services der Arbeitsagenturen Unternehmen und Betrieben eine spezialisierte und passgenaue Arbeitsmarkt- und Qualifizierungsberatung an. Zus?tzlich dazu gibt es auf Qualifizierung und Weiterbildung spezialisierte Beratungsteams. Diese beraten sowohl Qualifizierungsinteressierte als auch Betriebe und Unternehmen, oft auch Mittelst?ndler.

F?r Baden-W?rttemberg haben wir zusammen mit S?dwest-Metall und der Landesregierung Qualifizierungsverb?nde ins Leben gerufen, durch die kleine und mittelst?ndische Unternehmen bei der Qualifizierung ihrer Mitarbeiter unterst?tzt werden sollen. Die Idee der Initiative ist schnell beschrieben: Gerade viele Mittelst?ndler in Bereichen mit hoher Transformation haben ihren Weiterbildungsbedarf zwar erkannt, haben bisher jedoch wenig Erfahrung damit, wie sie das Thema anpacken sollen. Wenn sich also mehrere Betriebe zusammenschlie?en, k?nnen sie gemeinsam definieren wie und was sie qualifizieren wollen und dann im Verbund Seminare anbieten. Unterst?tzt und beraten werden die einzelnen Qualifizierungsverb?nde durch spezialisierte Verbundmanager.     

Auch der Gesetzgeber hat die Notwendigkeit von Weiterbildung und Qualifizierung als Antwort auf Strukturwandel und Transformation erkannt. Durch das Qualifizierungschancengesetz wird die F?rderung f?r einen weitergefassten Personenkreis ge?ffnet. Viertens besteht aktuell f?r Unternehmen in Kurzarbeit die M?glichkeit, diese Phasen f?r Weiterbildung und Qualifizierung zu nutzen. Sind bestimmte Voraussetzungen erf?llt, k?nnen Sozialversicherungsbeitr?ge zu 50 Prozent erstattet werden. Weiterbildungskosten werden abh?ngig von der Betriebsgr??e anteilig erstattet.

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