Ausbau der Position im bestehenden Markt und Erschlie?ung neuer Marktpotenziale: Bezogen auf die mittel- bis langfristige Perspektive wird die Entwicklung innovativer Gesch?ftsmodelle immer wichtiger. Im Interview mit "RATIO kompakt" ?u?ert sich Patrick Gro?heim vom RKW Kompetenzzentrum zu den Trends. ?

RATIO kompakt: Sehr geehrter Herr Gro?heim, Sie unterst?tzen mittelst?ndische Unternehmen bei der Entwicklung innovativer Gesch?ftsmodelle. Welche Erfahrungen machen Sie zurzeit, wenn Sie mit Gesch?ftsf?hrern mittelst?ndischer Unternehmen sprechen?

Wir beobachten zum einen nat?rlich die Unternehmen, die gerade aus dem selbst auferlegten ?Winterschlaf? aufwachen oder tats?chlich noch dort sind. Ich habe k?rzlich mit einem Automobilzulieferer gesprochen, dessen Mannschaft weit ?berwiegend in Kurzarbeit ist und der jegliche Ausgaben untersagt, die nicht unmittelbar und nachweislich auf die Liquidit?t einzahlen. Hier geht es prim?r um maximale Kostensenkung. Daneben sehen wir Unternehmen, die nicht ganz so hart getroffen sind und das operative Krisenmanagement in den Vordergrund stellen, ohne dass die Kapazit?ten auf ein Minimum heruntergefahren werden. Hier geht es dann oft um das ?ganze Besteck?, das auch der erfahrene Sanierungsberater in seinem Koffer hat: Liquidit?tsplanungen, kurzzyklisch vorw?rts rollierende Forecasts, Investitionsstopps, Genehmigungsgrenzen f?r Ausgaben und so weiter. In diesen Unternehmen sind Innovationen meist sehr marktnah und wohl?berlegt. Sie stellen den Versuch dar, mit geringsten Investitionen auch weiterhin den Weg zur Kundin oder zum Kunden zu finden. Drittens finden sich einige Unternehmen, die zu den ?Krisengewinnern? geh?ren und nun Chancen ergreifen k?nnen und m?ssen. ?

Ist Gesch?ftsmodellentwicklung ein Thema im Mittelstand angesichts der Corona-Krise?

Es er?ffnen sich f?r die Unternehmen, die eher zu den Gewinnern der Krise geh?ren, wie etwa weite Teile des E-Commerce oder der Medizintechnik, erhebliche und weitr?umige Chancen. Wer heute die finanziellen Mittel hat, sich neu zu erfinden, der findet erheblich mehr M?glichkeitsr?ume als noch vor einem Jahr. Marktteilnehmer verschwinden und Kundenanforderungen ver?ndern sich im Zuge der Krise nachhaltig. Eine gute Zeit f?r Gesch?ftsmodellentwicklung, wo diese m?glich und leistbar ist. Hier geht es dann tats?chlich um den Ausbau der Marktposition und das Erschlie?en neuer Gesch?fte. Diese Ergebnisse werden ?brigens auch von unserer RKW-Blitzumfrage gest?tzt. Auf die Frage nach aktuellen Priorit?ten standen kurzfristig eben die Liquidit?tssicherung, mittel- bis langfristig Themen wie Digitalisierung und Gesch?ftsmodellentwicklung im Vordergrund.?

Entwickeln sich die Unternehmen in Richtung Daten getriebene Gesch?ftsmodelle und Customer Service? Setzen KMU verst?rkt auf System- statt Produktangebote? K?nnen Sie Trends benennen??

Als wichtigsten Trend erachte ich ein ver?ndertes Verst?ndnis von Digitalisierung. Abgesehen von den wenigen Gewinnern d?rften unproduktive Verbindlichkeiten in den meisten Unternehmen daf?r sorgen, dass Investitionen hinterfragt werden. Ich erwarte demzufolge ein bodenst?ndigeres Digitalisierungsgeschehen als noch vor einem Jahr. Es wird in der Fl?che weniger Neues ausprobiert und demzufolge auch weniger produktiv gescheitert. Ich rechne entgegen einiger Prognosen auch nicht mit einem rapiden Zuwachs vermeintlich neuer Arbeitsformen, die unter dem Label ?New Work? laufen. Daf?r waren die Voraussetzungen f?r positive Erfahrungen mit diesen Experimenten einfach notgedrungen zu schlecht. Daneben k?nnen Gesch?ftsmodelle, die auf den Nutzen abstellen, gerade nat?rlich daf?r sorgen, dass die Kundschaft auch weiterhin die eigenen Leistungen abnimmt. Auch das Pay-per-use-Angebot f?r Druckluft der Firma KAESER war seinerzeit ja ein Kind einer Marktkrise. Allerdings halte ich es zumindest f?r fraglich, ob viele Mittelst?ndler die finanziellen Mittel f?r die zugeh?rige Umstellung der Prozesse haben oder daf?r das wom?glich bestehende Polster an Eigenkapital antasten. Last but not least erf?hrt der bestehende Trend, Marketing- und Vertriebsprozesse zu digitalisieren, weiteren Vorschub. Dazu geh?ren Online-Marketing-Kampagnen genauso wie Suchmaschinenoptimierungen oder das Nutzen bestehender B2B- oder B2C-E-Commerce-Plattformen.??

Vom VDMA wei? man, dass 90 Prozent der Innovationen durch Kundenanfragen entstehen und zu gemeinsamen Entwicklungsprojekten f?hren. Das bezieht sich auf Maschinen- und Anlagenbauer. Kann man diese Aussage verallgemeinern??

Ich denke, das kann man in gewisser Weise schon verallgemeinern. W?hrend Disruptionsinitiativen ja meist von kapitalstarken Start-ups ausgehen, beobachten wir im etablierten Mittelstand ein evolution?res Geschehen. Etwas, das in der Organisation bislang ausgeschlossen war, wird wieder in die Kommunikation eingef?hrt, wesentliche Impulse dazu kommen h?ufig im Kontakt mit Kundinnen und Kunden zustande. Es w?re aus meiner Sicht allerdings v?llig falsch anzunehmen, dass die Kundinnen und Kunden ihre Anforderungen und Ideen schl?sselfertig abliefern. Schlie?lich orientieren sich diese auch am Status quo und ihren Problemlagen. Nicht ganz zu Unrecht wird Henry Ford mit der Aussage zitiert, h?tte er die Kundinnen und Kunden befragt, h?tten sie schnellere Pferde und nicht etwa Automobil geantwortet. Ich kann als Entscheiderin oder Entscheider eines Unternehmens durchaus darauf hinwirken, dass ein solcher Austausch zustande kommt, sei es in Form von Co-Kreation-Workshops oder einfach dadurch, dass man den Austausch zwischen Vertrieb, Servicemitarbeitern und Konstruktion oder Kreation intensiviert und mit der Frage versieht: Welche Angebote k?nnten f?r unsere Kundschaft oder andere M?rkte spannend sein? Innovationen, die ?ber den Tellerrand der bestehenden Marktpositionierung blicken, sind im gr??eren Mittelstand dann wieder eher etwas f?r Kooperationen - mit Start-ups, in Form gemeinsamer Labs mit anderen Mittelst?ndlern und Kunden - oder werden in Form von Ausgr?ndungen organisiert, die sich klar vom bestehenden Gesch?ft abgrenzen lassen. Und dennoch geht es im Mittelstand nur ganz selten darum, eine Revolution anzusto?en, sondern eher darum, einen passenden Platz in der Revolution zu finden. ?

Was sind typische Beispiele f?r erfolgreich eingef?hrte Gesch?ftsmodelle?

?Ich tue mich mit dieser Frage etwas schwer. Wir haben beispielsweise mit einigem Aufwand mal spannende Digitalisierungsprojekte aus dem Mittelstand gesammelt und geb?ndelt, die man auch online in unserem Digitalisierungs-Cockpit unter www.erfolgreich-digitalisieren.de findet. Einige Zielsetzungen oder vielleicht besser Fluchtpunkte wiederholen sich h?ufiger als andere, in erster Linie bezogen auf die internen Prozesse und die Schnittstelle zum Kunden. H?ufig stehen etwa ERP- und CRM-Systeme, das papierlose B?ro, E-Commerce, SEO und Social-Media-Marketing auf der Agenda. Alternative Erl?smodelle, beispielsweise Pay-per-use-Modelle oder flexibles Pricing, und ver?nderte oder aufgewertete Angebote - wie Systeme zur vorbeugenden Wartung beim Kunden - finden sich seltener, ganz zu schweigen von solchen Gesch?ftsmodellinnovationen, welche die eigene Position im ?kosystem ver?ndern sollen. Betrachtet man diese betrieblichen Initiativen allerdings etwas genauer, unterscheiden sich diese erheblich. Als ein besonders inspirierendes Beispiel habe ich aber beispielsweise die Initiative der Zahnen Technik GmbH empfunden, die darauf abstellt, eine Plattform f?r den Kl?r- und Anlagenbau zu etablieren. Auch dieses Beispiel finden Sie in unserem Digitalisierungs-Cockpit.??

Prof. Wilhelm Bauer, Technologiebeauftragter Baden-W?rttembergs, empfiehlt den Mittelst?ndlern kooperative Gesch?ftsmodelle, zum Beispiel Wertsch?pfungspartnerschaften. Wie ist Ihre Erfahrung hiermit, sehen Sie hier Potenziale?

?Da mag ich Herrn Prof. Bauer gerne vorsichtig recht geben. Zum einen sind Kooperationen heute eben oft der einzige Weg weiterzukommen, weil alleine die Mittel daf?r gar nicht da w?ren. Zum anderen registriere ich ein gr??eres Interesse an Kooperationen bei vielen Entscheiderinnen und Entscheidern. Auf der anderen Seite steht eben die berechtigte Vorsicht. Die Grenze zwischen Partnerschaft und Konkurrenz ist eben nicht allzu stark. Kurzum: wir erleben in unserer Arbeit mit mittelst?ndischen Unternehmen mehr Interesse als tats?chliche Kooperationen unter Mittelst?ndlern. Das Ganze darf man auch gerne branchenbezogen differenzieren. So bietet sich die Wertsch?pfungskette in der Umweltwirtschaft vielleicht eher f?r solche Kooperationen an, weil die Markteilnehmer in h?herem Ma?e arbeitsteilig unterwegs sind und das ?kosystem oft kleinteilig ist. Eine Analyse des ?kosystems, in dem man sich als Unternehmen bewegt, ist sicher oft ein guter Einstieg.?

Bei der Moderation von Gesch?ftsmodellentwicklungsprozessen setzen Sie auf Trendanalyse, Gesch?ftsmodell-Cockpit und das Tool Advocatus Diaboli. Bitte erl?utern Sie Ihre Methodik.?

Wenn wir Gesch?ftsmodellentwicklungsprozesse begleiten, ist uns erst einmal wichtig, das Anliegen zu verstehen und woher es kommt. Dabei beleuchten wir immer auch den Preis einer - mitunter vermeintlichen - L?sung: Was spricht dagegen, etwas in bestimmter Weise zu ver?ndern? Wie hoch ist der Preis der Ver?nderung und worin besteht dieser? Oft bewegt sich in dieser Auseinandersetzung schon sehr viel, manchmal genug, dass unsere Klienten ab dort wieder gut alleine weitermachen k?nnen. Die benannten Tools setzen wir neben anderen nur sparsam dort ein, wo es auch passt. Die Trendanalyse beispielsweise dient dazu, m?glichst einfach und ohne den Klientinnen und Klienten Ihre Expertise abzusprechen, im F?hrungskreis ein geteiltes Bild ?ber m?gliche Zuk?nfte zu verschaffen: Womit rechnen wir und ? wichtiger noch ? worauf wollen wir uns gemeinsam einstellen? Von dort aus geht es oft leichter weiter, weil man sehr viel f?rs Erste beiseite lassen kann. Das Gesch?ftsmodell-Cockpit verwenden wir sehr h?ufig. Ein F?hrungskreis vergewissert sich damit beispielsweise, wie das eigene Gesch?ft funktioniert, was in der Praxis erstaunlich selten vorkommt. Damit haben wir eine gute Blaupause, um zu entscheiden, wie sich das Neue gut in das Bestehende hineinf?gt. Ideen f?r alternative Gesch?ftsmodelle lassen sich wieder in dem gleichen Tool erarbeiten. Das macht das gesamte Geschehen leichter verst?ndlich und spart Zeit. Das Tool Advocatus Diaboli gef?llt mir pers?nlich besonders gut. Kurz gesagt geht es darum, eine Geschichte des Scheiterns zu erz?hlen. Das macht gerade dort Sinn, wo viel Euphorie f?r die neuen Ideen im Spiel ist. Hier wird auch unsere ?berzeugung deutlich, dass es in Organisationen keine Entscheidung gibt, die neben Chancen nicht auch - oftmals hohe - Preise hat. Damit tauschen wir die Perspektive, was richtig und falsch ist, durch die Frage nach einem stimmigen Kosten-Nutzen-Verh?ltnis aus. Mit etwas Gl?ck und ausreichenden pers?nlichen Spielr?umen l?uft man dann weniger ambitioniert einer f?r das eigene Unternehmen untauglichen Best-practice-L?sung hinterher und hat gute Karten, statt nach Schuldigen zu suchen, sich auf die Bearbeitung der eigenen Themen zu konzentrieren. ?

Wie lange dauern solche Projekte in der Regel??

Unsere Projekte dauern in aller Regel zwischen einem halben und etwa acht Workshoptagen. Nachdem scharf umrissen ist, worum es gehen soll, wird das Bestehende soweit untersucht, wie es f?r die Bearbeitung des Problems n?tig ist. Wir gehen weiter, wenn schl?ssig ist, was das Problem zum Problem macht und welche Fragen gekl?rt werden sollen. Daran schlie?t sich das Bilden von sinnigen Optionen an und eine gut reflektierte Entscheidung, wie die Zukunft eben aussehen soll. Das operationalisieren wir in erste Schritte und ein m?glichst plausibles und dichtes Zukunftsbild. Wenn es sich einrichten l?sst, besuchen wir unsere Klienten nach ein paar Monaten noch einmal, um gemeinsam zu beurteilen, wie es bislang gelaufen ist und wie es sinnvollerweise weitergehen kann.?

Das RKW BW unterst?tzt mittelst?ndische Unternehmen mit Unternehmensberatung und Weiterbildung - auch bei der Entwicklung von innovativen Gesch?ftsmodellen. M?chten Sie sich unverbindlich informieren? Wir freuen uns ?ber Ihre Anfrage.

Ralph Sieger Fachbereichsleitung Vertrieb

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Ralph Sieger