Was haben Klimawandel, Kanzlerzittern und K?nstliche Intelligenz gemeinsam? Sie alle befeuern momentan in hohem Ma?e die Medien. Und wenn jetzt nicht gehandelt wird, sehen wir uns alle vor massive Probleme gestellt. Dabei ist - auch wenn die mediale Berichterstattung aktuell andere Schwerpunkte setzt - die KI das wichtigste der drei genannten Themen.

Ja, richtig gelesen: Ich halte KI sogar f?r noch wichtiger als den Klimawandel. Warum? Weil uns KI helfen kann, die Probleme des Klimawandels zu l?sen. Aber der Reihe nach. KI ist eine Querschnittstechnologie. Wikipedia sagt dazu Folgendes:

Eine Querschnittstechnologie ist eine Technologie, welche die Basis f?r andere Technologien oder eine wichtige Komponente f?r mehrere Technologien bildet und somit f?r mehrere Anwendungsgebiete bzw. Wirtschaftszweige relevant ist.

Querschnittstechnologie ver?ndert die Welt

Das bedeutet f?r uns: ?hnlich wie der Verbrennungsmotor, die Elektrotechnik oder das Internet ver?ndern Querschnittstechnologien die Welt in vielen Bereichen. Die KI wahrscheinlich in allen. Nun liegt bei dieser Querschnittstechnologie eine au?er gew?hnliche Situation vor: Science Fiction ist n?mlich in der Regel immer ihrer Zeit voraus, doch ihre tats?chliche Realisierung kommt deutlich sp?ter als vorhergesagt.

Fast jeden Tag ergeben sich neue Durchbr?che

In Zur?ck in die Zukunft 2 wurde ein fliegendes Skateboard ("Hoverboard") auf 2015 datiert - aber erst jetzt, Juli 2019, sehen wir bei der Pariser Milit?rparade einen ersten milit?rischen Prototypen. Fachleute t?uschen sich genauso: Der europ?ische Fusionsreaktor ITER sollte urspr?nglich 2016 in Betrieb gehen, derzeit geht man von 2035 (!) aus. Und auch im KI-Bereich gab es schon mehrere Wellen, die in der Vergangenheit ebenfalls sp?ter Resultate brachten als vorher gesch?tzt. Nicht so bei der KI der letzten Jahre: "Beim Kaiserspiel Go [...] brauchen Computer noch 10 Jahre, um Weltmeister zu werden", sagte der bekannte Trendforscher Sven Gabor Janszky im Februar 2016. Schon im M?rz 2016 gewann AlphaGo dann gegen Lee Sedol!

Dabei wird die KI nicht einfach in der gleichen Anwendung schneller und besser. Stattdessen ergeben sich ganz neue Anwendungsbereiche. Die Spracherkennung durch Maschinen gelang viele Jahre mehr schlecht als recht. Das Gleiche galt f?r die Bild-Erkennung. Durch einen grundlegend anderen Aufbau neuronaler Netze, sogenannte CNNs, geh?rt diese Barriere der Vergangenheit an. Go wurde durch Reinforcement Learning gewonnen, ebenfalls eine ganz neue Art von KI. Durch GANs wird k?nstliche Kreativit?t erm?glicht. Jedes Jahr, jeden Monat, fast jeden Tag, ergeben sich neue Durchbr?che. Ein weiteres Beispiel finden Sie gegen Ende des Artikels.

Was KI bereits heute leisten kann

Forschung ist das eine ? Anwendung das andere. Welche Vorteile k?nnen Sie heute schon durch KI erzielen? Im Grunde tut KI genau drei Dinge: vorhersagen, entscheiden und lernen. Ohne den vollst?ndigen Kontext eines Problems kennen zu m?ssen, kann sie ? basierend auf Lerndaten ? Annahmen ?ber eine m?gliche L?sung treffen, diese mit der Realit?t abgleichen und aus dem daraus folgenden Resultat lernen. Dieses Vorgehen wiederholt sie immer und immer wieder, bis sie eine geeignete L?sung gefunden hat. Da sie sich den L?sungsweg selbst erarbeiten, entfalten KIs daher in denjenigen Anwendungsbereichen ihren gr??ten Nutzen, wo der L?sungsweg nicht exakt greifbar oder erkl?rbar ist. Im Folgenden ein paar Beispiele:

Predictive Maintainance

Hinter Predictive Maintainance - der vorausschauenden Wartung - steht das Ziel, anstelle regelm??iger Wartungsintervalle eine Maschine nur dann zur Wartung anzuhalten und zu ?berpr?fen, wenn ein wirkliches Risiko besteht, dass sie kaputtgeht. Denn so lassen sich unn?tige Wartungsintervalle einsparen und Produktivit?ts-Potenziale voll aussch?pfen. Der erfahrene Werksleiter wu?te, "die Maschine h?rt sich komisch an, irgendwas stimmt nicht - haltet die mal an und schaut nach!". Aber wie erkl?rt man das einer Software?

?ber Sensoreinheiten k?nnen viele m?gliche Fr?hwarnsignale f?r einen Ausfall gemessen werden - von minimalen Temperatur-Erh?hungen ?ber h?here Vibration bis hin zu einer gr??eren Lautst?rke und vielem mehr. Doch unklar ist: Welche Kriterien sind wirklich relevant? Wie m?ssen sie gewichtet und wie miteinander in Zusammenhang gestellt werden? Genau das kann eine KI automatisch und minuti?s herausfinden - sofern sie gen?gend Testdaten mit Beispielen hat: solche, in denen tats?chlich ein Teil ausgetauscht werden musste, und solche, in denen die Maschine nicht defekt war. So k?nnte die KI zum Beispiel erkennen, dass nicht die allgemeine Lautst?rke, sondern nur ein bestimmtes Ger?usch gef?hrlich ist. Und dass die Lautst?rke egal ist, wenn die Vibration nicht erh?ht ist. Schlie?lich hat es keinen Einfluss auf die Maschine, wenn jemand durch die Werkshalle ruft.

Qualit?tssicherung

In den letzten Jahren gab es gro?e Fortschritte in SachenBilderkennung. Dies macht sich heutzutage zum Beispiel bei der automatischen Qualit?tssicherung zunutze. Manche Fehler lassen sich leicht (und erkl?ren), aber wie sieht es bei flie?enden ?berg?ngen aus? Beispiel Zahnlegierungen: Hierbei handelt es sich um Produkte, deren Oberfl?che immer kleinere M?ngel aufweist - auch bei Werkst?cken, die zur Weiterverarbeitung geeignet sind. Der ?bergang zwischen brauchbaren und unbrauchbaren Zahnlegierungen ist flie?end, es gibt keine glasklaren Kriterien. Trotzdem will man den Qualit?tsanspruch der Kunden erf?llen, bisher wurden daher St?cke mit gr??eren Fehlern von Hand aussortiert.

Indem man eine KI mit zahlreichen Bildern von korrekten und defekten Werkst?cken f?ttert, lernt sie durch Mustererkennung zwischen brauchbaren und unbrauchbaren Werkst?cken zu unterscheiden. Welche Muster dabei genau erkannt werden, ist f?r den Menschenso gut wie nicht nachvollziehbar. Jedoch trifft die Beurteilung der KI bei gen?gend Lerndaten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ins Schwarze, so dass sich defekte Produkte viel schneller aussortieren lassen.

KI-Anwendungen, die vor dem Durchbruch stehen - Predictive Basket

Besonders in Branchen, in denen es ?blich ist, immer wieder die gleichen Produkte zu bestellen, wird KI den Einkaufsvorgang transformieren: Der Predictive Basket - eine KI-Technologie von Omikron - sagt dem Kunden voraus, was er in seiner aktuellen Session kaufen will. Die KI berechnet die Vorschl?ge auf Basis des Verhaltens des einzelnen Kunden und des Verhaltens aller anderen Kunden. So lernt sie den Kauf-Rhythmus kennen und passt sich immer besser darauf an. Ihre Vorschl?ge sind schon heute zu 75 Prozent richtig.

Den meisten Online-Shops ist dieses Verfahren zu modern. Bisher m?chten sie noch selbst alle Regeln einstellen, statt mittels KI viel detailliertere Regeln erstellen zu lassen, die in ihrem Umfang kein Mensch mehr ?berschauen kann - die aber gleichzeitig bessere Ergebnisse liefern w?rden. Bei einem ?sterreichischen Lebensmittel-Gro?h?ndler kommt der Predictive Basket aber bereits heute erfolgreich zum Einsatz (die Lebensmittel-Zeitung hat berichtet).

Montage vor Ort

Die wenigsten Endkunden haben Freude daran, ihre erworbenen M?belst?cke zu Hause aufzubauen. Die meisten empfinden es wohl als l?stig und zeitraubend. Doch inzwischen werden Roboter immer besser, mit den individuellen Unw?gbarkeiten der Wohnumgebung von Kunden umzugehen - und k?nnen sogar auf spontane Ver?nderungen reagieren. So gibt es japanische Roboter, die selbstst?ndig Bretter transportieren und verbauen k?nnen, in einer Umgebung, die sie vorher nicht kannten. Legt man ihnen Hindernisse in den Weg, reagieren Sie auf ihre ver?nderte Umgebung und finden eine M?glichkeit, wie sie ihren Auftrag dennoch erf?llen. Es ist spannend zu beobachten, welche Fortschritte in n?chster Zeit gelingen werden - und es wird nur eine Frage von wenigen Jahren sein, bis solche Services Marktreife erreichen.

Office-T?tigkeiten

Auf der Google I/O 2018 wurde ein Telefonat zwischen einem Friseursalon und einem Kunden abgespielt. Das Spannende daran: Einer der Gespr?chspartner war eine KI, und es war nicht offensichtlich, welche die menschliche und welche die Computer-Stimme war. Denn die KI hatte ihre Stimme optimiert - nicht nur in Sachen Tonalit?t, sondern auch durch Einwurf von Interjektionen wie "mmh", "aha" etc. Durch die Analyse von Beispiel-Telefongespr?chen hatte die KI gelernt, wann solche Interjektionen angebracht sind in der Konversation. Es ist also mehr als wahrscheinlich, dass sich zumindest einfache Telefongespr?che in naher Zukunft ?ber KIs abwickeln lassen.

KI forscht selbst ? bereits heute

Bereits jetzt, im Juli 2019, realisierte sich auch eine meiner eigenen Prognosen zur KI - ich hatte sie auf 2021 bis 2025 datiert, sie lautet: KI stellt eigene Thesen in der Sekund?rforschung auf. Forscher der University of Berkeley haben einer KI nun tats?chlich gro?e Mengen wissenschaftlicher Texte ("Papers") ?ber Materialforschung gegeben - jedoch nur solche, die bis 2008 ver?ffentlicht wurden. Dann wurde die Frage gestellt, welche weiteren Entdeckungen im Bereich thermoelektrischer Materialien zu erwarten sind. Und genau wie menschliche Sekund?rforscher versuchte die KI Verbindungen zwischen verschiedenen Papers zu entdecken, die neue Erkenntnisse vermuten lassen. Die KI schlug f?nf Materialien vor - und von denen wurden in den kommenden zehn Jahren, also bis 2018, tats?chlich drei erfolgreich erforscht. Ganz ohne den Menschen kommt diese Technologie nicht aus, aber die Forschungsgeschwindigkeit f?r Sekund?rforschung k?nnte sich damit um den Faktor zwei bis zehn beschleunigen. Bis das auf breiter Front Auswirkungen hat, sch?tze ich, dauert es nur noch zwei bis f?nf Jahre. Diese KI basiert auf Word-2Vec, einer Technologie, in deren Umfeld ich selbst forsche. Obwohl ich dem Thema also nahe bin, hatte ich solche Fortschritte in einem Interview 2016 erst auf "in f?nf bis zehn Jahren" gesch?tzt. Auch hier war KI wieder deutlich schneller, als die Fachwelt erwartet hatte.

KI und die Gesellschaft

Dies bedeutet eine riesige Chance f?r die Gesellschaft: Ziele wie der Wandel von der Wegwerfgesellschaft hin zur Reparaturgesellschaft oder medizinische Fortschritte, die ein l?ngeres unbeschwertes Leben erm?glichen, r?cken f?r uns n?her. Und auch den Klimawandel aufzuhalten oder umzukehren, ist - davon bin ich ?berzeugt - mit Hilfe der Wissenschaft erreichbar. Die Frage ist, ob wir es rechtzeitig schaffen. KI kann die Wissenschaft unterst?tzen und beschleunigen, so dass sich unsere Chancen deutlich erh?hen. Das bedeutet nicht, dass wir die Frage des Klimawandels jetzt aussitzen sollten: Wir m?ssen trotzdem jetzt gesellschaftliche Ma?nahmen treffen; denn vielleicht brauchen wir auch mit KI-Hilfe zu lange!

Fazit

Wir erleben einen rasanten Wandel. Und sollten handeln! Die letzten Jahre bildeten erst den Anfang einer Revolution, die sich immer schneller auf alle Bereiche der Wirtschaft ausweiten wird. So k?nnen wir also zusammenfassen:

KI ist eine Querschnittstechnologie; und ?hnlich wie die Elektrizit?t oder das Internet wird sie Wirtschaft, Privatleben und die ganze Gesellschaft ver?ndern. Die Ver?nderung kommt wahrscheinlich schneller, als wir - selbst als Fachleute - aktuell vermuten. Und schon heute bietet KI zahlreiche Chancen, die genutzt werden sollten. Auch im Mittelstand! Das hei?t: KI ist jetzt! Europa und Deutschland m?ssen sich daher in eine gute Position bringen. Wir Europ?er m?ssen investieren, Neuerungen erm?glichen, Freir?ume geben, um an der Spitze mitzuwirken (und dadurch auch auf die KI-Ethik Einfluss nehmen zu k?nnen). Unternehmen haben bereits heute viele M?glichkeiten, von KI zu profitieren. Dazu m?ssen Sie keinen KI-Spezialisten einstellen, genauso wie Sie keinen Elektriker zum Betrieb eines Staubsaugers mit Elektromotor brauchen. Nutzen Sie die M?glichkeiten, probieren Sie fertige Bausteine aus, lernen Sie - just do it!

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